Bei Arbeitgebern schrillen die Alarmglocken. Allenthalben kehren Arbeitnehmer ihren Arbeitgebern den Rücken und brechen zu neuen Ufern auf. Doch ist diese Entwicklung wirklich so überraschend? Ist „The great resignation“, wie dieser Kündigungstsunami genannt wird, wirklich ein überraschender Effekt der Pandemie? Oder ist es das Ergebnis einer langen Kette von Entscheidungen der Unternehmenslenker selbst?
Das Wort „resignation“ ist ein interessantes Wort. Im Englischen bezeichnet es die Kündigung durch den Arbeitnehmer. An und für sich ist es ein eher neutrales Wort. Immerhin gehört es irgendwie dazu, dass sich die Wege von Mitarbeitern und Unternehmen auch mal trennen. Das Wort kann aber auch mit dem deutschen Wort „Resignation“ übersetzt werden: ein Wort, das eine eher negative Konnotation hat. Wenn jemand resigniert, bedeutet es, dass die Person sich damit abgefunden hat, dass etwas eigentlich Erwünschtes nicht erreichbar ist. Das Ergebnis einer Kette von Enttäuschungen sozusagen.
Aber ist das bei dieser Kündigungswelle so?
Ein erstes Indiz, das für die These spricht, ist der Zeitpunkt der Kündigungswelle. Die große Resignation nahm ihren Anfang in einer Phase relativ hoher Arbeitslosigkeit und in Zeiten hoher wirtschaftlicher Unsicherheit. Zuvor hatte sich noch ereignet, was man als „the great layoff“ bezeichnen könnte – eine Rekordzahl an Menschen verlor ihren Job. Die Pandemie brachte also manche Leute um ihren Job und andere gingen freiwillig. In Phasen der Unsicherheit den Arbeitgeber wechseln? Nicht ganz, was man erwarten würde.
Natürlich könnte es sein, dass die Pandemie als Ereignis einfach so einschneidend war, dass viele Menschen ihre Prioritäten überdacht und den Sprung ins kalte Wasser gewagt haben. Auch ist klar, dass für manche Berufsgruppen ein erfolgreicher Wechsel selbst in der Pandemie recht problemlos war. Aber warum überhaupt einen Sprung machen, wenn doch beim bisherigen Arbeitgeber alles knorke war?
Eindeutig ist die Datenlage zu den Gründen für die Kündigungen ja nicht.
In den Medien wurde als Grund vielfach das liebe Geld angeführt, aber zumindest eine Auswertung vom MIT Sloan legt nah: ganz so einfach ist es nicht. Demnach spielen „Compensation & Benefits“ sogar eine eher untergeordnete Rolle. Eher sind es Faktoren wie (toxische) Unternehmenskultur, Jobunsicherheit und Umstrukturierungen, aber auch unzureichende Entwicklungsmöglichkeiten. Andererseits gibt es durchaus Erhebungen, wonach das Geld einer der Hauptgründe ist. Das mag zunächst widersprüchlich klingen, aber vielleicht ist es das gar nicht. Vielleicht dachte sich der Eine oder die Andere: wenn andere Faktoren schon nicht passen, sollte wenigstens die Entlohnung stimmen.
Gehalt als Entschädigung sozusagen.
Nun wird wohl nicht jede Firma eine durch und durch toxische Unternehmenskultur haben. Doch es lohnt sich schon mal, sich damit auseinandersetzen, was die Mitarbeiter als toxisch bewerten. Denn so Probleme wie eine unfaire Behandlung von Frauen oder anderen Minderheiten können auch Firmen haben, deren Kultur ansonsten ganz in Ordnung ist.
Viel diskutiert wurde auch das Thema Remote-Arbeit. Und in der Tat gibt es eine Bewegung von Menschen, die ihren Arbeitgebern den Rücken kehrt, weil diese ihre Arbeitnehmer plötzlich wieder zur Präsenz verpflichten. Aber geht es wirklich exklusiv um Remote-Arbeit? Könnte es nicht sein, dass das dahinter liegende Motiv der Wunsch nach Flexibilität und einer gesunden Work-Life-Balance ist? Wollten Arbeitnehmer nicht auch vorher schon Beruf und Privatleben besser unter einen Hut bringen?
Ich behaupte, dass es auch und vor allem darum geht, vom Arbeitgeber wie ein mündiger und vertrauenswürdiger Erwachsener behandelt zu werden. Denn Mitarbeitern, die man für mündig hält, kann man zutrauen, den für sie richtigen Arbeitsort selbst zu wählen. Auch kann man davon ausgehen, dass Mitarbeiter im Homeoffice genauso ihre Leistung erbringen wie im Büro, wenn man ihnen denn vertraut. Aber seien wir ehrlich: Seinen Mitarbeitern zu vertrauen, fiel vielen Arbeitgebern auch vor der Pandemie schon schwer.
In solchen Dingen zeigt sich auch die Wertschätzung, die ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern gegenüber aufbringt.
Wo bleibt denn die Wertschätzung für die Mitarbeiter, die unter Beweis gestellt haben, dass sie auch von zu Hause produktiv sein können – wenn ihr Unternehmen sie trotzdem wieder ins Büro holt? Inwiefern ist das ein Anerkennen der Leistung, die trotz der außergewöhnlich hohen und belastenden Gesamtumstände erbracht wurde?
Und wundert es dann tatsächlich, dass fehlende Wertschätzung und mangelhafte Anerkennung von Leistungen in all diesen Erhebungen als Gründe für Kündigungen genannt werden?
Aber Wertschätzung zeigt sich nicht nur darin, ob ein Mitarbeiter seinen Arbeitsort wählen kann oder nicht – und neu ist das Problem mit der Wertschätzung auch nicht.
Wir könnten die Gallup-Studien der Vor-Corona-Jahre befragen, aber eigentlich müssen wir das gar nicht. Wir alle kennen jemanden, der einschlägige Erfahrungen mit einem oder mehreren Arbeitgebern gemacht hat, für die Loyalität eine Einbahnstraße zu sein scheint. Wahrscheinlich hat ein großer Teil von uns schon Erfahrungen mit Chefs gemacht, bei denen nicht gemotzt schon gelobt genug ist. Manche auch mit Unternehmen, denen es egal zu sein schien, wenn sich die Mitarbeiter in den Burnout arbeiteten. An den Strukturen, die dazu führten, änderten die Unternehmen jedenfalls selten etwas.
Aber Änderungen an den Strukturen gab es natürlich. Viele von uns haben miterlebt, wie Firmen umstrukturiert oder ganze Abteilungen out-gesourced wurden. In der Regel geschah das, um Personalkosten zu sparen, nicht um die Mitarbeiter zu entlasten. Selbst wenn die Ziele andere waren, führte es oft zu Mitarbeiterabgängen und dazu, dass die Verbleibenden ein erhöhtes Arbeitspensum tragen mussten. Nicht selten geschahen solche Umstrukturierungen oder Outsourcings sogar trotz wirtschaftlicher Prosperität. Bisschen Krise ist ja immer.
Wir können uns auch sicher sein, in jedem Unternehmen den ein oder anderen Kollegen zu finden, der auf der Stelle tritt, weil niemand seine Leistung anerkennt. Vielleicht passiert das auch deshalb, weil man sich im Remote-Office so selten an der Kaffeemaschine trifft und längst nicht jeder Manager gelernt hat, auch ohne Zufallsbegegnungen den Kontakt zu seinen Mitarbeitern zu halten. Dabei wäre das auch vor Remote Work schon wünschenswert gewesen.
Und dann ist da ja auch noch die Tatsache, dass bei vielen Arbeitnehmern die Gehälter über Jahre stagnierten oder leidlich mit der Inflation mithielten. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass ein Wechsel des Arbeitgebers sich in der Regel lohnt. Nun mag das Gehalt nicht der ausschlaggebende Faktor sein, aber es ist auch die einfachste Art dem Mitarbeiter seine Wertschätzung zu zeigen. Ein Mitarbeiter, der für jede Erhöhung als Bittsteller auftreten muss, wird sich wohl kaum besonders wertgeschätzt fühlen. Das Gleiche gilt für eine Mitarbeiterin, die deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen verdient.
Trotzdem haben viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihren Firmen lange die Stange gehalten. Viele haben aber auch innerlich gekündigt.
So hatten im Jahr 2019, um dann jetzt doch mal Gallup zu bemühen, zum Beispiel nur 15 Prozent der Beschäftigten eine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. Das waren damals große News, obwohl Gallup in den Jahren zuvor oft Ähnliches zu vermelden hatte.
Also ist diese Kündigungswelle wirklich überraschend?
In gewisser Weise ist sie das. Denn die Resignation wird im Allgemeinen auch mit einem Zustand der Antriebsschwäche verbunden. Den Arbeitgeber aktiv zu verlassen erfordert aber Antrieb und sogar Mut, wenn die Zeiten so unsicher sind. Zumal man ja auch nicht weiß, ob das Gras auf der anderen Seite tatsächlich grüner ist. Andererseits ist die Kündigungswelle wahrscheinlich auch nicht so überraschend, weil es für viele Arbeitnehmer schon lange Gründe zu gehen gab.
Und Unsicherheit hin oder her: da ist ja auch noch der Fachkräftemangel. Der Fachkräftemangel ist ein zweischneidiges Schwert, weil dieser für Mitarbeiter oft bedeutet, dass die Arbeitslast höher ist als sie sein müsste. Gleichzeitig macht der Fachkräftemängel für manche Arbeitnehmer den Wechsel leicht und versetzt sie in eine gute Verhandlungsposition.
Es wirkt nicht immer als hätten das alle Arbeitgeber verstanden, wenn sie einerseits mit Obstkörben um die Allererfahrensten auf dem Markt werben und andererseits so wenig zum Erhalt der vorhandenen Mitarbeiter tun. Dabei hätten die ja allen Newjoinern gegenüber einen Vorteil: sie haben Erfahrung mit den Eigenheiten des eigenen Unternehmens.
Aber gut, eigentlich müssten sie ja auch mehr tun, als die Mitarbeiter nur zum Bleiben zu bewegen. Sie müssten ihre vorhandenen Mitarbeiter neu begeistern. Wenn sie das nicht können, ist die Trennung vermutlich besser für beide Seiten. Mit Management nach Vorschrift – oder besser gesagt: Lehrbuch – wird das wohl nicht gelingen.
Wirklich was dagegen tun würde aber auch beinhalten, in weniger erfahrene, aber motivierte Mitarbeiter zu investieren und so der doch ja eher langfristigen Entwicklung entgegenzuwirken. Auch unnötige bürokratische Hürden im Arbeitsalltag abbauen könnte helfen. Oder man schläft einfach weiter und überlässt seine Mitarbeiter den anderen Firmen.
Eins ist nämlich mal klar: nicht alle Firmen sind von der Welle gleich betroffen. Manche betrifft es mehr als andere. Auch Firmen, von denen man es nicht vermuten würde, weil sie zum Beispiel so innovativ sind. Und sofern die Leute dem Arbeitsleben nicht komplett entsagen, gehen sie ja auch irgendwo hin.
Ich weiß nicht, ob ich gerne auf McKinsey verweisen will, denn die Consulting-Unternehmen dürften an den beschriebenen Geschehnissen einen Anteil haben. In einem haben sie jedoch recht: Viele Unternehmen werden es weiterhin schwer haben, weil sie nicht verstanden haben, warum ihre Mitarbeiter überhaupt abwandern. Statt zu „quick fixes“ zu greifen, müssten sie nach Wegen suchen, die Beziehung zu ihren Mitarbeitern zu stärken, schreiben sie im Artikel ‘Great Attrition’ or ‘Great Attraction’? The choice is yours. Das erfordere Empathie.
Also dann, liebe Arbeitgeber, redet doch mal wieder mit euren Mitarbeitern und versucht sie zu verstehen. Und vergesst dabei eines nicht: Jede Veränderung ist auch eine Chance. Ihr erinnert euch doch noch an diesen Satz, oder?