Hindsight Bias: der Knew-it-all-along-Effekt

Der Hindsight Bias beeinflusst, wie wir über vorangegangene Ereignisse denken, und trübt unser Urteilsvermögen.

Written by Patrick Schönfeld · 3 min read >
Nerdy school boy

„Hab’s ja vorher gesagt!“

Wir alle kennen Menschen, bei denen dieser Satz zum Standardrepertoire gehört. Diese notorischen Besserwisser, die sich immer dann zu Wort melden, wenn die Katze schon in den Brunnen gefallen ist. Nur um dann zu proklamieren, den Ausgang vorhergesehen — ja: sogar vorhergesagt — zu haben. Wahrscheinlich haben wir den Satz auch selbst schon mal geäußert. Denn der Hindsight Bias oder auch Rückschaufehler ist einer der geläufigsten und robustesten psychologischen Effekte und er befällt längst nicht nur Menschen mit Hang zur Selbstdarstellung.

Was ist Hindsight Bias?

Hindsight Bias bezeichnet die Tendenz des Menschen, die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses im Anschluss systematisch zu überschätzen. Dies kann sogar beinhalten, dass sich Menschen an eigene Prognosen erinnern, die sie gar nicht abgegeben haben. Deshalb wird der Hindsight Bias auch gerne als Knew-it-all-Along-Phänomen bezeichnet.

In wissenschaftlichen Experimenten werden Teilnehmer beispielsweise gebeten, die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Partei bei einer Wahl anzugeben. Dabei schätzen sie eine Wahrscheinlichkeit von 30 %, dass diese Partei die Wahl gewinnt. Später wird ihnen mitgeteilt, dass die Partei sogar 50 % der Stimmen erhalten hat und sie werden gebeten, sich an die Höhe ihrer ursprünglichen Schätzung zu erinnern. Sehr wahrscheinlich werden sie sich nun an eine Schätzung erinnern, die höher als ihre ursprüngliche Schätzung liegt.

In der Praxis tritt der Hindsight Bias regelmäßig auf und das ist durchaus problematisch.

Warum ist der Hindsight Bias problematisch?

Wenn ein Kollege behauptet, dass er ein gewisses Ergebnis vorher sehen konnte, ist das erstmal nur nervig. Schlecht ist aber, wenn es eine konstruktive Auseinandersetzung mit einem negativen Ereignis verhindert. Dabei wäre es oft wichtig, sich in die Schuhe einer Person zu versetzen, deren Entscheidung (mutmaßlich) zu einem schlechten Ergebnis geführt hat.

Nehmen wir folgende Situation an: in der IT eines Unternehmens passiert ein Systemausfall. Dieser Incident hat Folgen für das Unternehmen: Es büßt an Umsatz und Reputation ein. Manche Kunden kehren dem Unternehmen dauerhaft den Rücken. Natürlich hat das Unternehmen ein Interesse, die Ursachen möglichst lückenlos aufzuklären und Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Was wäre, wenn wir feststellen, dass eine Fehlentscheidung getätigt wurde?

Klar ist, dass wir unmöglich tatsächlich vorher sehen können, wie eine Situation ausgehen wird. Wir können aufgrund unseres Wissens und unserer Erfahrung Prognosen abgeben, aber was wirklich eintritt, ist ungewiss. Der Hindsight Bias verschleiert diesen Fakt und kann dazu führen, dass wir die Fehlentscheidung als ursächlich klassifizieren und die Analyse vorschnell beenden. Menschliches Versagen heißt es dann. Akte geschlossen.

Aber gab es vielleicht gute Gründe für die Entscheidung?

Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass menschliches Versagen selten alleinige Ursache ist. Denn wir Menschen sind uns möglicher Probleme bei unseren Handlungen ja bewusst und treffen dagegen Vorkehrungen: Checklisten, Warnsysteme oder beispielsweise mit dem Vier-Augen-Prinzip. Wenn es zu einem Vorfall kommt, haben alle diese Mechanismen versagt — nicht nur der Mensch, der die Entscheidung getroffen hat.

„The hindsight bias fundamentally undermines our ability to understand the factors that influenced practitioner behavior.“ – Behind Human Error (Affliate-Link) von David D. Woods, Sidney Dekker, et al.

Der Hindsight Bias führt also schlechtestenfalls dazu, dass ein ähnlich gelagertes Problem in der Zukunft erneut auftritt, obwohl man es hätte verhindern können.

Auf individueller Ebene kann der Hindsight Bias unsere Entscheidungsprozesse negativ beeinflussen. Immerhin gehört zu guten Entscheidungen auch deren Konsequenzen abzuwägen. Nun könnte die kognitive Verzerrung aber mit einem übermäßigen Vertrauen einhergehen, diese Folgen richtig vorhersehen zu können. Das kann zu unnötigen Risiken verleiten.

Ursachen des Hindsight Bias

Aus Sicht der Psychologen Neal J. Roese und Kathleen D. Vohs („Hindsight Bias“) beinhaltet der Effekt alle oder einzelne der folgenden Aspekte: Gedächtnisverzerrungen, Überzeugungen über die objektive Wahrscheinlichkeit von Ereignissen oder subjektive Überzeugungen über die eigenen Vorhersagefähigkeiten.

Die folgenden Faktoren tragen dabei zum Entstehen des Effekts bei:

  1. Kognitive Faktoren: Unter den verfügbaren Informationen wählen Menschen selektiv die Informationen aus, die konsistent sind mit ihrem aktuellen Wissen und suchen auf dieser Basis Erklärungen, die sozusagen die eigentliche Erinnerung oder eine rationalere Beurteilung überlagern.
  2. Meta-kognitive Faktoren: Wenn es eine Erklärung gibt, die leicht verständlich für uns ist, verwechseln wir diese Einfachheit unter Umständen mit der vorherigen Eintrittswahrscheinlichkeit.
  3. Motivativationsfaktoren: Für den Menschen ist es beruhigend, die Welt als geordnet und vorhersehbar anzusehen, und wünschenswert, nicht für Probleme verantwortlich gemacht zu werden. Und natürlich ist es auch ganz angenehm zu glauben, dass wir mit unseren Prognosen richtig lagen 😉

Interessanterweise tritt der Hindsight Bias übrigens vermehrt in Situationen mit negativem Ausgang auf. Das könnte mit einer weiteren kognitiven Verzerrung, dem Negativity Bias, zusammenhängen.

Was man gegen Hindsight Bias tun kann

Hier wird es knifflig. Die Wissenschaft konnte keinen wirksamen Weg finden, den Hindsight Bias vollständig abzustellen. So hilft es zum Beispiel nicht, dass man sich der Existenz dieses Effekts bewusst ist.

In Versuchen half es jedoch, Menschen zur Suche nach alternativen, kausalen Erklärungen für ein bestimmtes Ereignis zu ermutigen. Hilfreich ist, generell offen für andere Erklärungsansätze und Perspektiven zu sein.

Darüber hinaus sollte man folgende Strategien in Erwägung ziehen:

  • Sich bewusst machen, dass niemand die Zukunft vorher sagen kann
  • Analysen von Ereignissen auf objektive Daten stützen
  • Ein Decision Journal führen

Bei der Analyse von unerwünschten Ereignissen kann man zum Beispiel auf einen Prozess setzen, bei dem explizit Daten gesammelt, ausgewertet und verschiedene Einflussfaktoren beleuchtet werden.

Zusammenfassung

Wir Menschen neigen dazu, die Vorhersagbarkeit von Ereignissen zu überschätzen. Dieser als Hindsight Bias bekannte Effekt kann verhindern, dass wir aus problematischen Ereignissen die richtigen Lehren ziehen.

Um den Effekt abzumildern, sollten wir die Analyse vorangegangener Ereignisse nicht auf unsere Erinnerung oder Bauchgefühl über die Vorhersagbarkeit stützen. Stattdessen sollten wir alternative Ausgänge und Erklärungsansätze beleuchten und unsere Analyse auf objektive Daten stützen.

Und wenn wir Gefahr laufen, den eingangs erwähnten Satz herauszuhauen? Einfach mal kurz innehalten und herunterschlucken. Die Kollegen könnten es einem danken.

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