Dieser Artikel ist ein Beitrag zur aktuellen Blogparade des Projektmagazins, in der es um die Rolle des Projektleiters im Jahr 2030 geht.
Februar, 2030
Lächelnd blickte Frank auf sein Tablet und schwelgte in Erinnerungen.
Zufällig war er auf diesen vor vielen Jahren geschriebenen Artikel gestoßen, in dem zur Spekulation über die Zukunft des Projektleiters im Jahr 2030 aufgerufen worden war, und das hatte sein Interesse geweckt. Nicht allein, weil er in jener längst vergessenen Zeit selbst einmal Projektleiter gewesen war und den Lauf der Geschichte kannte, sondern weil es eben auch ein ganz schöner Zufall war, dass er ausgerechnet im Jahr 2030 auf diesen Artikel stieß.
Er versuchte sich zu erinnern, ob er selbst an dieser Blogparade teilgenommen hatte und was er über dieses Thema gedacht hatte, doch auch bei all den technischen und medizinischen Fortschritten war er schließlich doch vergesslich geworden.
Der Kontext
Eines war aber noch so deutlich in seiner Erinnerung als wäre es gestern gewesen: wie es damals als Projektleiter war.
Er erinnerte sich, wie er damals erstmals zu dieser Bezeichnung auf seiner Visitenkarte gekommen war und wie er das anfangs noch als Beförderung verstanden hatte. Er hatte es als Auftstieg auf einer Leiter verstanden, von der man damals noch glaubte, dass sie nicht unbedingt steil, aber in jedem Fall nach oben geht. Doch genau wie Andere musste er schnell feststellen, dass die Bezeichnung oft irreführend, wenn nicht sogar ein Etikettenschwindel war. Immerhin konnte er nach all den Jahren an die Zeit zurückdenken, ohne in Rage zu geraten oder sich zu fragen, wer an diesen schweren Zeiten in seinem Leben nun schuld war.
Seltsame Zeiten waren es.
Viele taten sich schwer, in den damaligen Zeiten etwas Besonderes zu sehen. Sie sagten, dass es Veränderung schon immer gegeben hätte und bestritten, dass sich die Welt neuerdings schneller drehte. Doch einerseits war eben auch nicht zu verleugnen, dass gleichzeitig in vielen unterschiedlichen Bereichen Veränderung stattfand und das Ausmaß – ob nun revolutionär oder nicht – gar nicht eindeutig abzuschätzen war. Anderseits gab es auch Entwicklungen, die besonders hervorstachen und die kollektive Aufmerksamkeit auf sich zogen, weil sie zunehmend in viele, wenn nicht sogar die meisten Lebensbereiche reinwirkten.
Obwohl etwa Digitalisierung für Manche zum Reizwort geworden war, trug bereits damals beinahe jeder einen Computer in der Hosentasche und manchmal auch am Handgelenk, Kühlschränke wurden zu vernetzten Geräten und Autos lernten das autonome Fahren. Die Technik wurde so allgegenwärtig, dass sogar alteingesessene Unternehmen mit eher traditionellen Geschäftsmodellen die Notwendigkeit sahen, „irgendwas mit IT“ zu machen, auch wenn nicht immer jedem klar war, wie damit denn überhaupt Geld zu verdienen war.
Die Alten, die Neuen, die Unveränderlichen
In diesen Zeiten hatten besonders diejenigen gute Karten, die mit der Technik schon aufgewachsen waren oder sich frühzeitig damit vertraut gemacht hatten.
Das galt aber nur, wenn sie mit Veränderung nicht einfach nur umgingen sondern sich die Neugier und das für junge Menschen eigene Rebellentum behielten, die Veränderung vielleicht sogar voranzutreiben bereit waren und sich Wissenserwerb zu seinem Wettbewerbsvorteil machten. Frank war bei seiner Beförderung selbst noch gerade eben ein sogenannter Millenial gewesen, aber er wusste, dass es davon gar nicht abhing.
Eigentlich ging es darum, ob man einer der Alten oder der Unveränderlichen war; ob man die wichtigen Fähigkeiten noch irgendwo in sich hatte und sie wieder freisetzen konnte – oder ob man schon so lange in dieser Geschäftswelt war, dass sie einen zu sehr verändert hatte. In der bisherigen Welt hatte man sich zwar auch auf Veränderungen einstellen müssen, aber fürs eigentliche Bestehen waren andere Eigenschaften gefragt als jetzt. Als einer der Alten glaubte man, dass es vor allem um den Output geht – darum, immer mehr mit immer weniger zu leisten. Die Unveränderlichen glaubten das nicht mehr, für sie war es längst zur Wahrheit geworden.
Die Neuen trafen damals auf die Alten und die Unveränderlichen; und Frank glaubte, dass das der zentrale Konflikt in jener Welt war – und nicht nur in der Arbeitswelt.
Macht oder nicht Macht?
Frank war zwar ein Millenial, aber unter diesen war er einer der Ältesten. Und er hatte schon eine Weile in der alten Welt gearbeitet.
Als er Projektleiter wurde, dachte er, dass man tatsächlich etwas leiten würde, dass man Pläne macht und Andere diese umsetzen; dass man zwar nicht befiehlt aber eben auch nicht fragt; dass man sagt, was wichtig ist und gemacht werden muss. Doch schon in der alten Welt hatte man Projektleiter längst nicht immer mit besonderen Befugnissen ausgestattet. Sie bekamen diesen Titel und die Verantwortung und das musste reichen. Sie mussten zum Ziel führen, auch wenn alle wussten, dass sie im Grunde nichts zu sagen haben.
Wie sollte das funktionieren?
Den Begriff laterale Führung hatte er bis dahin nicht gehört, aber er war nah genug am Geschehen, um zumindest eines zu erkennen: das Wissenserwerb zwar gut und schön war, aber auch nicht reichte. Auch dann nicht, wenn man gleichzeitig viel von Technik verstand.
In der alten Welt war es schon um’s Beziehungen knüpfen gegangen, aber jetzt ging es nicht mehr um den Karrierevorteil sondern um viel mehr. Wenn man in der alten Welt den Aufstieg auf der sprichwörtlichen Leiter vielleicht manchmal nicht wegen oder trotz der Leistung sondern nur mithilfe von Beziehungen erreichte, brauchte man in der neuen Welt Beziehungen und Netzwerke, um als Team etwas zu erreichen, und Menschen die sich als Facilitator verstanden.
Denn unter all den Möglichkeiten musste man eine Auswahl treffen, wo sich das Investment von Zeit und Ressourcen lohnt, und selbst dann konnte man nicht alles selbst umsetzen und den Wissenserwerb gleichzeitig voran bringen.
Man war also noch mehr als früher auf Leute angewiesen, die eigentlich gar keinen Grund hatten, für einen zu arbeiten: sowohl im als auch außerhalb der Unternehmen.
Mit den Füßen wählen
Im eigenen Unternehmen waren die Leute, die man in der alten Welt als selbstverständlich angesehen hatte.
Sie erhielten Geld und dafür mussten sie eben Leistung bringen. Wenn sie zur oben genannten Gruppe von Menschen gehörten, waren sie aber zudem in einer sehr privilegierten Situation. Sie konnten mit den Füßen wählen, wenn ihnen was nicht passte.
Als Projektleiter war man demnach noch mehr darauf angewiesen, dass man mit Menschen umgehen konnte. Vielleicht nicht um sie abzuholen – was ein wenig klang als hätte man es mit Unmündigen zu tun – sondern im Gegenteil: um sie zum bleiben zu bewegen. Da sie mit den Füßen wählen konnten, waren sie ja gerade alles andere als unmündig und allein mit einer Leitungsposition nicht zu beeindrucken. Das aber war eine ganz andere, viel schwerere Aufgabe, als sie die Bezeichnung Projektleiter vermittelte, besonders wenn der Anteil der Unveränderlichen zu hoch war.
Fast unmöglich.
Frank strich sich nachdenklich durch seinen Bart. Die grauen Haare galten als Zeichen der Erfahrung und manche Menschen bildeten sich etwas darauf ein. Doch er wusste, dass diese Zeit bei ihm viel mehr als nur graue Haare hervorgebracht hatte. Sie hatte ihn krank gemacht, zumindest für eine Weile aus dem Gleichgewicht geworfen. Eine Zeit lang war er wütend gewesen, auf die Alten oder Unveränderlichen, die ihm diese Last aufgebürdet hatten. Doch im Laufe der Zeit hatte er verstanden, dass sie es tatsächlich als Beförderung verstanden hatten, als Anerkennung seiner Person. In einer komplexen und sich ständig verändernden Welt hatten sie sich darauf eingestellt, in eine Machtposition zu gelangen und dort zu bleiben, und dabei ganz aus den Augen verloren, dass die Welt sich weiterentwickelt und sie dem nicht mehr gewachsen waren. Sie wussten es nicht besser, dachte Frank nun, taten aber vielleicht intuitiv das Richtige.
Frank lernte mit den Jahren, dass die Zeiten auch für die Neuen nicht leicht waren.
Eine Welt voller schlechter und weniger schlechter Möglichkeiten
Die Möglichkeit mit den Füßen wählen zu können und doch in einer Welt zu leben, die von den Unveränderlichen in Reaktion auf eine längst vergessene Zeit gestaltet worden war, war eine Welt voller schlechter und weniger schlechter Möglichkeiten. Denn man traf eben auch immer wieder auf diese alte Strukturen und musste dagegen ankämpfen.
Die alte Welt war so allgegenwärtig wie die ganze Technik, sodass viele selbst dann nicht das Gefühl hatten, einen Treffer gelandet zu hatten, wenn sie für sich einen etwas besseren Platz gefunden hatten. Auch, weil es in dieser Welt eben nicht allen gut ging. Sicher, man konnte Code schreiben oder IT-Systeme aufbauen und bei der Gestaltung der neuen, technischeren Welt mitwirken, und sich damit einen Teil vom Kuchen sichern. Aber konnte man auch einen Unterschied machen? Konnte man nur sich selbst bessere Arbeitsbedingungen schaffen oder war man auch in der Lage für andere dazu beizutragen? Oder war man trotz seiner Wahlmöglichkeit, doch irgendwie nur ein Rädchen im Getriebe der alten Welt?
Als die Unveränderlichen so Menschen wie Frank in höhere Positionen beförderten, wussten sie es vielleicht nicht und taten trotzdem Intuitiv das Richtige. Gewissermaßen gaben sie ein Teil vom Zepta an Menschen wie Frank, die eine Veränderungen hätten bewirken können.
An Menschen, die beide Welten gesehen hatten und sie deshalb verstehen und vielleicht zusammenführen und verbinden konnten.
Hatten Sie das erreicht?
Frank war sich nicht ganz sicher, ob sie dieses Ziel erreicht hatten, weil er nach den ganzen ausgefochtenen Kämpfen nicht mehr gut zwischen Gefühl und Wirklichkeit unterscheiden konnte.
Doch er wusste, dass er es versucht hatte.
Irgendwann war ihm klar geworden, dass die Unveränderlichen früher oder später verschwinden würden, und dass es auch an ihm lag, einen Unterschied zu machen.
Worauf es ankam war, dass aus den Neuen und Alten keine Unveränderlichen wurden. Dafür galt es zu kämpfen: Nicht durch Optimierung von Zahlen, durch Konkurrenz und Verdrängung, sondern durch Hände reichen, Netzwerke knüpfen und Partnerschaften eingehen; durch Kundennutzen schaffen und trotzdem den Mitarbeiter an erste Stelle zu setzen, nicht statt sondern zusammen mit dem Kunden.
Für all das brauchte es (damals wie heute) Leute mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Weil viele Aufgaben zwar von allen Menschen erledigt werden konnten, aber längst nicht jeder in allem gleich gut ist. Ein Techniker konnte ein guter Projektleiter sein, aber wenn er nicht gut mit Menschen umgehen konnte, würde er es vermutlich nicht sein. Wenn ein Techniker aber gut mit Menschen umgehen konnte oder planen und organisieren, Menschen für Ideen begeistern oder aber gut darin war, die richtige Umsetzung für eine Idee zu finden oder Menschen zusammenzubringen, dann sollte man sich dabei auch einbringen dürfen. Was dabei keine Rolle spielen sollte: was auf einer Visitenkarte steht.
Ob die Unverbesserlichen es wussten oder nicht: sie hatten ihn auf die Mission geschickt, zu diesem Ziel beizutragen, und er hatte sie angenommen.
Lieber Herr Schönfeld, ich habe Ihre Story heute gefunden und gelesen, und sie hat mich berührt und nachdenklich gemacht, aber auch beeindruckt. Ich gehöre zu jenen, die erst jetzt (!) zum Thema Projektmanagement gefunden haben (und sich nach der Lektüre als Fossil und aus der Zeit gefallen empfinden). Als Freelancerin im Bereich Lektorat/Schlussredaktion unterwegs und immer in Workflows eingebunden, scheint sich mir eine Welt aufzutun, die mit neuem Wortgebrauch und Selbstverständnis einhergeht, aber auch mein Welt- und Menschenbild hinterfragt. Danke für Ihren inspirierenden Text. Mit besten Grüßen, Christina Madl
Hallo Frau Madl,
entschuldigen Sie, dass ich erst so spät auf Ihren Kommentar antworte. Ich freue mich auf jeden Fall, dass Ihnen der Text gefallen und Sie inspiriert hat. Daher danke für Ihren Kommentar.
Viele Grüße,
Patrick Schönfeld