Beine baumelnd produktiver sein

Wer smart arbeiten will, muss auch mal die Beine baumeln lassen.

Written by Patrick Schönfeld · 6 min read >

Neulich arbeitete ich an einer Programmieraufgabe.

Eigentlich keine besonders schwere Aufgabe – nur die Automatisierung von ein paar simplen Arbeitsschritten, also etwas das durchaus im Rahmen meiner Fähigkeiten liegt. Dennoch brauchte ich länger als gedacht und wurde zunehmend frustrierter.

Was war passiert?

Nun, die Gründe waren vielfältig – so hatten mein Team und ich bei der ursprünglichen Konzeption ein paar Randbedingungen nicht bedacht. Der springende Punkt, auf den ich hinaus will, ist aber ein Anderer. Eine Erfahrung nämlich, die ich in meinem bisherigen Berufsleben gemacht habe:

Zur Lösung von komplizierten Problemen können zwei Faktoren einen entscheidenden Unterschied machen:

  1. einem Problem insgesamt weniger Handlungszeit widmen, besonders wenn man feststeckt: statt endlos auf dem Problem rumrödeln, im Zweifelsfall auch einfach mal Abstand von der Aufgabe nehmen und etwas völlig Anderes machen – vielleicht sogar etwas, das nichts mit Arbeit zu tun hat.
  2. wenn man aktiv an dem Problem arbeitet, für optimale Bedingungen sorgen: zwei Stunden intensiv an einem Problem arbeiten, ohne unterbrochen zu werden und ohne sich selbst zu unterbrechen, kann mehr bringen als 8 Stunden ununterbrochen an einem Problem zu arbeiten.

Wenn Mitarbeiter oder Kollegen sich nicht mit Arbeit beschäftigen, ist uns das oft suspekt

Der erste Punkt mag uns in mancherlei Ausprägung unintuitiv erscheinen.

Wir legen insgesamt oft viel Wert auf Beschäftigung: ein Mitarbeiter oder Kollege, der während seiner Arbeitszeit nicht an Kundenproblemen arbeitet, sondern im Extremfall vielleicht im Internet surfed, Katzenvideos guckt oder auch nur in einem Buch liest, ist uns irgendwie suspekt.

Die Fokussierung auf Beschäftigung lässt sich mancherorts an Kennzahlen feststellen, wenn etwa von der „Auslastung“ der Mitarbeiter gesprochen und ein Sollwert dafür angelegt wird. Aber selbst wenn wir solche Kennzahlen nicht erheben oder uns gegenseitig sagen, dass sie kein Leistungsmaßstab sind, fällt es uns schwer Leistung von den eingesetzten Mitteln zu trennen.

„Genialität ist ein Prozent Inspiration und neunundneunzig Prozent Transpiration“ –Thomas Alva Edison

Natürlich hängt das auch oft mit unseren Geschäftsmodellen zusammen: wenn der Kunde letztlich für aufgewendete Zeit bezahlt, werden wir und alle Beteiligten bestrebt sein, dass der Kunde eben dies auch kriegt: Zeit.

Das Ergebnis ist dann zweitrangig.

Dabei gibt es durchaus Gründe, die für ein Umdenken sprechen. Und ich für meinen Teil kann sagen: Beine baumeln lassen hat für mich (und meine Arbeitgeber) schon öfter Probleme gelöst als ihnen und manchmal auch mir bewusst ist.

Auch wenn hundertmal Edison zitiert wird lässt sich eben nicht jedes Ergebnis allein aufs Schwitzen zurück führen. Manchmal ist es der Duschkopf, der einen auf die Lösung für ein Problem bringt.

Wann ist mal wirklich Zeit für fokussierte Arbeit?

Auf der anderen Seite leuchtet den Meisten von uns das Konzept von stark fokussiertem Arbeiten durchaus ein – aber fast im gleichen Maße tun wir uns sowohl mit der Umsetzung für uns selbst schwer als auch damit, dies anderen Menschen zu ermöglichen.

Wir kennen das.

Das Konzept, die Programmieraufgabe oder was auch immer muss fertig werden. Doch das Telefon klingelt, weil der Kunde eine Frage hat, ein Kollege platzt rein und möchte etwas zu einem völlig anderen Thema wissen – oder wir selbst lassen uns vom Popup ablenken, dass uns über die einflatternde E-Mail, die Hangouts-Nachricht der Freundin oder aktuelles Weltgeschehen informiert.

An guten Tagen bleiben die Ablenkungen überschaubar und wir arbeiten mehr oder weniger zielorientiert, mit manchmal guten, aber oft auch nur mittelmäßigen Ergebnisen. Wir gehen mehr oder weniger pünktlich in den Feierabend, zufrieden mit unserer Leistung und sicher, dass wir uns den Feierabend redlich verdient haben.

An den besseren Tagen nehmen wir uns morgens die Erledigung ein paar weniger Aufgaben fest vor, arbeiten diese konzentriert ab und machen sogar früher Feierabend. Wir gehen mit dem guten Gefühl, wirklich etwas geleistet zu haben – ganz ohne uns zu fragen, ob man eigentlich produktiv war.

Hin- und wieder aber haben wir dann doch irgendwie ein schlechtes Gewissen: ist es gerechtfertigt, dass ich früher gehe und meine Kollegen noch im Büro sitzen?

Warum sowohl starke Fokussierung als auch weniger starke Fokussierung einen Blick wert sind

Die beiden Punkte „fokussiert arbeiten“ und „öfter mal weniger fokussiert arbeiten“ mögen nach etwas Unvereinbarem klingen.

„Slack‘ doch einfach zuhause und konzentrier dich auf der Arbeit.“

Könnte so einfach sein, möchte man meinen. Acht Stunden arbeiten, dann ein wenig Sport zum Ausgleich und für die Ideenfindung, weil Sport bekanntlich die Kreativität anregt …

Aber eigentlich sind die beiden Punkte gar nicht so unvereinbar, sondern nur zwei Seiten der gleichen Medaille, die sich bestens ergänzen.

Ein paar Gründe dafür:

  • Die Auslastung von Mitarbeitern hoch zu halten, ist ungesund fürs Geschäft. Denn darunter leidet die Reaktionsfähigkeit (siehe auch: Mitarbeiter hoch aulasten – ist das ökonomisch?)
  • Viele überaus erfolgreiche Produkte (etwa Post-Its, Google Mail, u.v.m) sind gerade nicht das Ergebnis gezielter Planung oder der gezielten Arbeit daran. Sondern das Ergebnis von „Slacktime“ (Zeit, die man Mitarbeitern für eigene Projekte gewährt) – oder sind zufällig aus anderen Arbeiten hervor gegangen.
  • In etwas gut werden erfordert viel Übung: etwa 10000 Stunden soll es den Neurowissenschaften zufolge brauchen, um von gewöhnlichen zu professionellen Fähigkeiten zu gelangen. Deliberate Practice, wenn sich nur auf Arbeit konzentriert wird, die dem Kunden in Rechnung gestellt werden kann?
  • Eine einzelne Unterbrechung bei fokussierter Arbeit kostet uns im Schnitt 23 Minuten Zeit und ist ziemlich ungesund. Auf entsprechende Forschungen hatte ich hier und hier schon mal aufmerksam gemacht.

Eigentlich ist das was ich hier schreibe, eh schon allen klar, oder? Dennoch sieht die Arbeitswirklichkeit eben leider oft anders aus.

Welche Maßnahmen können wir ergreifen

Bei der eingangs geschilderten Programmieraufgabe steckte ich irgendwann fest.

Bei einem Teilproblem wollte ich irgendwie nicht so recht weiter kommen. Statt an dieser Stelle eine Pause einzulegen, was anderes zu machen, den Kopf frei zu kriegen … machte ich weiter. Ich merkte schon, dass das ineffektiv war, aber hey: muss doch fertig werden.

An einem anderen Tag beschloss ich, mich nochmal in Ruhe hinzusetzen und für eine oder zwei Stunden an dem Teilproblem zu arbeiten: Allein in meinem Arbeitszimmer, mit Musik auf den Ohren und nach vorheriger Ankündigung bei meiner Freundin, nicht gestört werden zu wollen.

Zwei Stunden fokussiert arbeiten kann manchmal ganze Arbeitstage ersetzen.

Den Kopf in den Sand stecken hat noch nie jemandem etwas gebracht. Also wollen wir mal schauen, welche Möglichkeiten wir so haben.

Als einzelne Person (egal, ob Worker, Projektleiter oder Chef)

Meine Empfehlungen sind demnach:

  • sich auch mal die Zeit rausnehmen, von einem Problem Abstand zu gewinnen und etwas völlig Anderes zu tun, gerne auch arbeitsrelevante Themen (z.B. Fortbildung) aber eben nicht mit der Fokussierung auf eine bestimmte Aufgabe
  • sich hin- und wieder eine Timebox zu setzen, in der man ganz gezielt an einem bestimmten Problem arbeitet und sich vielleicht auch mal eine bestimmte Herangehensweise bewusst vornimmt (z.B. ein Problem nochmal zu analysieren statt es einfach nur stur lösen zu wollen)
  • in dieser Timebox für eine reiz- und störungsarme Umgebung sorgen, z.B. Köpfhörer, Handy und Telefon lautlos, Benachrichtigungen von Apps aus, den Mitmenschen die Abwesenheit signalisieren (für andere Techies reichen dafür schon manchmal Kopfhörer :))
  • Wenn die Möglichkeit besteht, im Homeoffice zu arbeiten, und das einem praktikabel erscheint (ist ja nicht für jeden was): davon hin- und wieder Gebrauch machen.

Und vor allem: sei Vorbild.

Zeig deinen Kollegen, dass Feierabend machen genauso (wenn nicht sogar noch mehr!) in Ordnung ist wie „notwendige Überstunden“. Sei so schlau, dir eine Auszeit zu gönnen, wenn du sie brauchst und hab verdammt noch mal kein schlechtes Gewissen, wenn du mal früher gehst. Lass die Beine mindestens zuhause mal baumeln. Schalt ab.

Zu den Möglichkeiten für den Einzelnen gibt es auch ein recht interessantes Buch von Cal Newport: Konzentriert arbeiten: Regeln für eine Welt voller Ablenkungen beziehungsweise die englische Originalausgabe Rules for focused success in distracted world.

Als Team gemeinsam für jeden Einzelnen

Allerdings kann eine einzelne Person nicht alle Faktoren beeinflussen.

So könnte es ja sein, dass man als Team telefonisch für Kunden erreichbar sein muss und letztlich sind die einzelnen Kollegen gegenseitig auf ihre Mithilfe angewiesen.

Ein paar Anregungen fürs Team sind also:

  • Wenn Kundensupport ein Thema ist: Zeiten vereinbaren, in denen einzelne Personen sich aus der Erreichbarkeit rausnehmen können oder andersrum: einzelne Personen erster Ansprechpartner für den Kunden sind
  • Wenn Fragen für Kollegen aufkommen: über die Dringlichkeit nachdenken und erwägen auf asynchrone Kommunikationsmechanismen auszuweichen (zum Beispiel Instant Messenger statt Telefon, im nächsten Meeting ansprechen)
  • Auf Signale achten, dass ein Kollege nicht gestört werden will, und diese auch beachten: etwa die oben schon erwähnten Kopfhörer im Ohr.
  • Generell: im Team Vereinbarungen treffen, die ungestörtes Arbeiten erleichtern, und sich daran halten: zum Beispiel über Kommunikationskanäle, an die sich alle (für nicht dringende Anliegen) halten, auf die aber auch (früher oder später) reagiert wird.

Als Unternehmen für mehr Produktivität statt nur Beschäftigung

Last but not least ist da natürlich noch der Chef und das Unternehmen – das letztlich ja das größte Interesse hat, dass die Mitarbeiter in Ruhe und effektiv arbeiten zu können.

  • Die Möglichkeit schaffen beziehungsweise unterstützen, dass Mitarbeiter hin- und wieder völlig ungestört an etwas arbeiten können: kein Telefon, keine E-Mail, keine Unterbrechungen (auch nicht vom Chef!)
  • Arbeit aus dem Homeoffice ermöglichen/Präsenzzeiten reduzieren
  • Wenn dem Kunden gegenüber Zeit abgerechnet wird: Über alternative Abrechnungsmodelle nachdenken und ausprobieren, beispielsweise nicht nach investierter Zeit sondern pro Ticket oder ähnlichem abrechnen.
  • Fortbildung in der Arbeitszeit ermöglichen und aktiv kommmunizieren, dass diese Zeit genutzt werden darf und soll.
  • Besser noch: über die Einführung von „Slacktime“ nachdenken und die Mitarbeiter darin unterstützen, dass sie diese auch nutzen.

Die beschriebenen Möglichkeiten müssen nicht für jeden passen und sind ganz sicher auch nicht erschöpfend. Aber es ist ein Thema, mit dem man sich beschäftigen sollte.

Und immer dran denken: Beine baumeln lassen kann Probleme lösen.

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